83 lines
4.7 KiB
TeX
83 lines
4.7 KiB
TeX
\begin{DSarticle}[
|
|
runninghead=Minesweeper,
|
|
title={Im Minenfeld der Information -- Journalismus im Zeitalter der Kryptographie},
|
|
author={Jonas Schneider <mail@jonasschneider.de>},
|
|
% DSabstract={gegengelesen und Fragen an den Autor gestellt (Rince, 2015-06-17) von Jonas Schneider <mail@jonasschneider.com>, rt 57537}
|
|
] %
|
|
|
|
Der aktuelle Skandal um den Militärischen Abschirmdienst (MAD) zeigt:
|
|
auch Journalisten geraten mehr und mehr ins Visier der deutschen
|
|
Geheimdienste. Längst sind die Autoren in der Realität nicht mehr die
|
|
unabhängigen, unantastbaren Beobachter, wie sie vom Gesetz erlaubt und
|
|
gefordert sind.
|
|
|
|
Im Rahmen der Affäre um die Mängel am G36-Sturmgewehr der Bundeswehr
|
|
forderte Heckler \& Koch (der Hersteller der Waffe) den
|
|
Militärgeheimdienst MAD dazu auf, Journalisten beim Umgang mit
|
|
Berichten über Mängel am G36 zu überwachen. Dies geht aus einem
|
|
internen Papier des Verteidigungsministeriums hervor, das unter
|
|
Anderem dem SPIEGEL vorliegt. Demnach sollte durch eine gezielte
|
|
Überwachung einzelner Journalisten die Quelle in der Behörde
|
|
identifiziert werden, die Informationen über die interne Untersuchung
|
|
des G36 lieferte. Der Anfrage des Herstellers kam man offiziell nie
|
|
nach, die Umsetzung wurde aber prekärerweise erwogen und diskutiert.
|
|
|
|
%===(Frage: Wurde dem nicht sogar nachgekommen? Siehe [Die Zeit] (http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-06/g36-leyen-mad-journalist) )===
|
|
|
|
Ebenso bedenklich sind auch die jüngsten Enthüllungen um die
|
|
Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit dem
|
|
amerikanischen Geheimdienst NSA, wonach der BND ohne Legitimation
|
|
Daten über deutsche und europäische Ziele nach Amerika leitete. Diese
|
|
Ziele, bis zu 40.000 an der Zahl, wurden vom US-Geheimdienst frei
|
|
vorgegeben und vom BND nicht hinterfragt. Ob auch Journalisten von
|
|
dieser kaum gerichteten Überwachung betroffen sind, ist noch
|
|
ungeklärt. Für die Kommunikation mit sensiblen Quellen sollte diese
|
|
Enthüllung in jedem Fall ein Aufhorchen bedeuten; der BND ist an allen
|
|
deutschen Internet-Knotenpunkten wie dem DE-CIX in Frankfurt
|
|
vertreten. Per Gesetz ist er legitimiert, unter bestimmten, kaum
|
|
kontrollierten Auflagen nach Belieben Datenverkehr im Internet
|
|
mitzuschneiden.
|
|
|
|
Viele unabhängige Journalisten wie Glenn Greenwald, der
|
|
Veröffentlicher der Snowden-Dokumente, empfehlen deshalb Wissen über
|
|
Kryptographie als ein Grundkenntnis für Autoren, die sich mit
|
|
sensiblen politischen Themen befassen. Dazu gehört insbesondere der
|
|
Umgang mit von Sicherheitsexperten als verlässlich eingestufter
|
|
Software wie dem Betriebsystem Tails\footnote{\url{https://tails.boum.org/}}, das
|
|
grundsätzlich alle Daten beim Herunterfahren vergisst und von Haus aus
|
|
mit einer Reihe von Programmen zur Verschlüsselung von Daten
|
|
ausgestattet ist. Bei der richtigen Benutzung sind die Daten vor fast
|
|
allen Bedrohungen sicher, auch vor dem Zugriff durch Geheimdienste.
|
|
Tails ist frei verfügbar und kann kostenlos bezogen werden.
|
|
|
|
Im Kanzleramt scheint man Angst zu haben vor der rigorosen und
|
|
restlosen Aufklärung dieser Geheimdienstskandale durch die Presse.
|
|
Informationen der Regierungssprecher sind meist wortkarg und verweisen
|
|
ohne weiteren Kommentar auf die nicht einsehbaren geheimen Dokumente
|
|
oder inhaltsleere Pressemitteilungen.
|
|
|
|
Doch selbst die Untersuchung durch parlamentarische Kontrollgremien
|
|
wird penibel kontrolliert. So wurde beispielweise Andre Meister,
|
|
Kolumnist des Magazins Netzpolitik.org, bei einer öffentlichen Sitzung
|
|
des NSA-Untersuchungsausschusses im Oktober 2014 von einem für
|
|
ihn abgestellten Polizisten begleitet. Auf die Frage, ob dieser ihm
|
|
folgen würde, wenn er sich auf der Zuschaurtribüne einen anderen Platz
|
|
suchen würde, bekam er eine klare Antwort: „Ja.“
|
|
|
|
Und das alles ist nur die Situation in Deutschland, auch weltweit ist bisher
|
|
nur die Spitze des Eisbergs bekannt geworden. Wir leben in einem Zeitalter, in
|
|
dem Geheimdienste ihre Abhörprogramme nach dystopischen
|
|
Weltherrschaftsszenarien benennen, wie es Bond-Bösewichte nicht besser
|
|
könnten. Erst im Mai 2015 berichtete „The
|
|
Intercept“\footnote{\url{https://firstlook.org/theintercept/2015/05/08/u-s-government-designated-prominent-al-jazeera-journalist-al-qaeda-member-put-watch-list/}}
|
|
vom „Skynet“-Programm der NSA, das maschinelles Lernen nutzt, um
|
|
anhand von Bewegungsmustern Spähziele zu identifizieren. Aus den
|
|
geheimen Präsentationsfolien geht hervor: das „beste“ bisherige
|
|
Ergebnis des Algorithmus ist Ahmad Zaidan, angebliches Mitglied von
|
|
al-Qaida. Diese Einschätzung wird ihn und seine Kollegen sicher
|
|
überraschen; er ist ein bekannter Chefkorrespondent aus Islamabad für
|
|
den Sender Al-Jazeera. Eine Begründung für die Einstufung als
|
|
Terrorverdächtiger wird nicht gegeben.
|
|
|
|
\end{DSarticle}
|