datenschleuder98/artikel/tatort.tex

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7.4 KiB
TeX

%\useclass{datenschleuder}
\begin{DSarticle}[
runninghead=Antwortschreiben,
author={Michael Wogh, mowgh@t-online.de},
title={Antwort auf die Antwort auf den Brief von 51 Tatortautoren},
DSabstract={
%FIXME==noch nicht gegengelesen==
%via rt 32551, unten den briefwechsel dazu beachten
Dieser Brief erschien als Antwort auf die Antwort an den offenen Brief von 51 Tatortautoren*innen. Der Autor möchte in diesem Brief nicht für die Tatort-Autoren sprechen, sondern lediglich seine private Meinung wiedergeben. Die Antwort ist in voller Länge wieder\-gegeben, lediglich die Rechtschreibung wurde korrigiert.}
]
Hallo CCC (via Datenschleuder) -
danke für Eure Antwort auf den Offenen Brief, dessen Mitunterzeichner
ich bin. Vorab eines: Über die Antwort war ich glücklicher als über den
Brief selber, der imho den falschen Ton erwischt. Böser Fehler, die
Netzgemeinde in einen großen Topf zu werfen, ohne nachzusehen, was da
alles drinnen schwimmt.
Reden wir über Realitäten. Autor sein ist keine Nebenbeschäftigung.
Geschichten zu finden und zu erzählen braucht Zeit und einen freien
Kopf. Der lässt sich deutlich leichter herstellen, wenn man nicht Sorge
haben muss, dass einem gleich der Strom abgestellt wird. Die Frage ist,
ob diese Art der Geschichten noch erwünscht ist. Ich rede ausdrücklich
nicht über Tatort-Autoren, sondern über unsere Kultur. Alles was uns aus
der Vergangenheit geblieben ist, was wir erinnern, was uns vielleicht
davon abhält, uns gegenseitig mit großen Keulen die Köpfe einzuschlagen,
sind die Werke, die irgendwann einmal von jemandem erschaffen wurden,
der sich einen geistigen Freiraum erschaffen hat. Was passiert, wenn es
keine Geschichten mehr gibt, keine Songs, keine Filme, weil diejenigen,
die sie erschaffen, sich einen anderen Lebenserwerb suchen müssen? Klar
sind wir im digitalen Zeitalter angekommen, keine Frage. Nur - ist es
sinnvoll, die Freiheit der Netz-Kommunikation gleich zu setzen mit
einem: "Es bedarf keiner Schöpfer mehr, die Community liefert die
Inhalte kostenfrei?" Ich frage mich, was von dem ganzen täglichen
elektronischen Grundrauschen für meine Urenkel erhalten bleiben wird.
Vermutlich wenig. Nicht dass Ihr jetzt denkt, ich würde "Tatorte" zum
Kulturgut der Menschheit rechnen. Aber eine langsame Aufweichung und
Zerstörung der Lebensgrundlagen betrifft ja nicht nur die
Tatort-Autoren, sondern alle, die ihre Lebenszeit investieren, um etwas
Bleibendes, Weitergebbares, ein paar helle Gedanken in einen stupiden
Alltag Zauberndes zu erschaffen.
Ich persönlich glaube nicht, dass die Netzgemeinde samt und sonders
daran interessiert ist, eine "apokalyptische Zeit der Kulturlosigkeit"
einzuläuten. Im Gegenteil. Ich brauche die Freiheit des Netzes und ihre
mühelose und atemberaubend fortschrittliche Möglichkeit, die Welt
endlich neu zu begreifen. Ich bin überzeugt davon, dass sich neben dem
ganzen Gelabere heute die hellsten und klarsten Gedanken im Netz finden.
Aber wird das bleiben, was an Ideen, Anregungen, Veränderungen täglich
verschossen wird? Ihr habt möglicherweise recht mit Eurer Sicht, dass
die meisten Autoren anderen Tribut schulden, auf deren Schultern sie
stehen. Nicht unbedingt nur E. A. Poe, wie Sir Conan Doyle meint. Aber
jedes Buch, jedes Musikstück, jeder Film und vermutlich auch jede
Software baut auf den Gedanken anderer auf. Nur muss sich jemand
hinsetzen, seinen Verstand benutzen, sein Wissen, sein Erfahrenes und
Erlesenes, um aus dieser kulturellen Ursuppe Neues erschaffen zu können.
Wenn unsere Gesellschaft insgesamt davon profitiert, dass sie auf so
Erschaffenes zurück greifen kann, dann frage ich mich schon, wer
eigentlich ein Interesse daran haben kann, diesen Sammlern und Schöpfern
unserer Kultur die Lebensberechtigung abzusprechen. Wer meinen kann,
dass man sie einfach einsparen sollte und durch das kollektive
Austauschen der Community ersetzen. Denn: Auch wenn diese Community
überragende Arbeit darin leistet, alle Gedanken der Welt zu sammeln,
Enzyklopädien des menschlichen Wissens zu erschaffen - irgendwann kommt
der Punkt, an dem alles Wissen eingesammelt, alles Vorhandene vernetzt
ist. Und dann? Gibt es dann noch große, neue Ideen? Gibt es Romane, die
die gemeinsame Fantasie in neue Welten führen, Filme, die jeder Mensch
sehen möchte, Musik, die viele tauschen und die sie zusammen glücklich
macht? Gibt es dann den einen, großen, singulären Input, den auch die
Community braucht, um ihre eigenen Ideen entwickeln zu können?
Was hat das mit ACTA zu tun? ACTA ist einfach ein rundum unglücklicher
Weg, sich quasi per Erlass in die immanente Unterschiedlichkeit der
Interessen zwischen Schaffen und Teilen einzumischen. Wie immer, wenn
Staat und Gesellschaft versuchen, etwas festzuschreiben, kommt dabei
eine Verkürzung heraus, die eher schadet als nützt. Viel wichtiger wären
grundsätzliche Überlegungen: Wer verdient an der Freiheit des Netzes?
Wer schafft sich Milliardenvermögen dadurch, dass er anderer Menschen
Geist und Arbeit für seine Zwecke einsetzt? Und, vor allem: Wieso
bedienen wir alle, mich eingeschlossen, uns jeden Tag so klammheimlich
und bedenkenlos all dessen, was Andere erschaffen haben? Ich fürchte die
Anonymisierung und Vergemeinschaftung geistiger Werke könnte eines Tages
zum großen Problem unserer Kultur werden. Wenn eine Gesellschaft keinen
Respekt mehr zeigt vor dem, was einzelne ihrer Mitglieder leisten, dann
verliert sie womöglich auch insgesamt den Respekt vor den Individuen,
aus denen sie sich zusammensetzt.
Man kann lange über Schutzfristen und deren Notwendigkeit diskutieren.
Es gibt Beispiele, in denen Enkelgenerationen gedankenlos von Vermögen
zehren, die ein Vorfahre mit einem geistigen Werk erarbeitet hat. Es
gibt die Gegenbewegung der völligen Ausbeutung durch gnadenlose
Stückverträge, an denen nur noch clevere Vermarkter profitieren. All das
geht am Kern der Diskussion vorbei. Der da wäre: Warum geben wir ohne
Murren unsere Kohle an Immobilienbesitzer, Mineralölkonzerne,
Lebensmittelgiganten, stehlen uns aber einfach zusammen, was wir an
geistiger Grundausstattung benötigen? Leisten wir uns Kultur, auch wenn
sie schutzloser ist als eine panzerglasgesicherte Bank und deutlich
nahrhafter als das tägliche Fast Food unserer (!) Community?
LG
Michael Wogh
[1] \url{https://www.ccc.de/de/updates/2012/drehbuchautoren}
[2] \url{http://www.drehbuchautoren.de/nachrichten/2012/03/offener-brief-von-51-tatort-autoren-0}
% Bibliography einmal bauen
%%%\bibliography{fremderartikel}
%%%\bibliographystyle{plain}
\end{DSarticle}
%%%\end{document}
%-------------
%
%Lieber Herr Wogh,
%
%vielen Dank fuer Ihren Brief an die Redaktion der "Datenschleuder", den wir ueber die internen CCC-Mailinglisten auch einigen CCC-Mitgliedern zur Kenntnis gegeben haben.
%
%Haetten Sie Einwaende, wenn wir Ihren Brief in unserer naechsten Ausgabe der "Datenschleuder" in voller Laenge abdrucken wuerden?
%
%Wenn es Sie nicht stoert, wuerden wir ihn nur orthographisch korrigieren und in alte Rechtschreibung ueberfuehren, da die "Datenschleuder" in alter Rechtschreibung erscheint? Ansonsten wuerden wir ihn natuerlich auch genauso uebernehmen, wie er ist.
%
%Beste Gruesse, Constanze Kurz
%Chaos Computer Club
%
%-----------------------
%
%Hallo Frau Kurz,
%
%selbstverständlich spreche ich nicht für die Tatort-Autoren, sondern
%gebe in dieser Antwort meine Privatmeinung wieder. Es wäre nett, wenn
%ihr darauf hinweisen könntet. Ansonsten dürft ihr gerne abdrucken (und
%korrigieren).