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Die Gesundheitskarte - eine Polemik
Anonym
Guten Tag. Ich habe eine elektronische Gesundheitskarte in meinem Geldbeutel. Leider ist sie völlig nutzlos. Zumindest für mein Szenario und das von ca. einem Drittel aller Menschen in der Bundesrepublik Deutschland: den chronisch Kranken. Meine chronische Erkrankung ist tödlich - es gibt keine Heilung. Mein Hausarzt schrieb mir die Diagnose auf einen Zettel, dazu ein weiterer Zettel mit den Laborwerten. Ein Dritter mit der bisherigen Krankengeschichte. Damit ich nichts vergesse, wenn ich zum Facharzt gehe.
Beim Facharzt fülle ich Zettel aus - die ich schon mehrfach bei meinem Hausarzt ausgefüllt habe. Und bei einem anderen Spezialisten. Die Zettel werden abgetippt und verschwinden in meiner Akte. „Ach gäbe es doch nur eine kleine Plastikkarte, auf der ich meine Krankenakte von Arzt zu Arzt tragen könnte“ , denke ich mir während ich auf meine Laborergebnisse warte. Ich bekomme einen Zettel für meinen Hausarzt, der mir davon eine Kopie für einen weiteren Facharzt macht. „Ach wenn es doch nur…“
Ich spreche mit einem Freund beim CCC darüber. Er findet die Idee nicht so gut. Ich höre die alten Argumente: Die Technik ist nicht gut, Verschlüsselung nicht ausreichend und überhaupt, was ist, wen die Krankenkasse einfach Tarife aufgrund meiner Erkrankungen anpasst? Ich lache kurz darüber, denn das sind wirklich nicht die Sorgen, die andere chronisch Kranke und ich haben.
Ich muss berufsbedingt umziehen. Drei Wochen lang klappere ich Ärzte ab und bekomme Kopien von Zetteln, die mal Kopien von anderen Ärzten waren. Umzug. Mein Medikament ist fast alle und ich brauche ein Rezept. Dafür muss ich zum Facharzt - das hat kein Hausarzt im Budget. Ich klappere Ärzte ab, finde schließlich einen, der mich als Patienten nimmt. Er bekommt meinen Stapel Papier und kopiert sich raus, was er benötigt, legt meine Akte an. Einen Anamnesebogen fülle ich auch noch aus. Ich bekomme eine Überweisung. Auf Papier. Damit gehe ich zum Facharzt, wo ich einen Anamnesebogen ausfülle, meine Akten zum kopieren abgebe. „Ach wenn…“
Mittlerweile habe ich einige Ärzte überredet, per Email zu kommunizieren. Das dürfen sie eigentlich nicht, weil sie nicht die Möglichkeit zum Verschlüsseln haben. Ich würde mich ja sehr darüber freuen, wenn ich eine Karte hätte, wo alle Daten strukturiert drauf sind und die ich auch selbst auslesen kann. Damit ich selbst einen Überblick behalten kann. Wäre irgendwie ziemlich gut. Ich stelle mir auch vor, wie es ist, wenn ein Notarzt das Risiko von dieser Karte auslesen kann, wenn ich mal in einen Unfall verwickelt bin. Mein Blut ist immerhin tödlich (was ich ja bereits sagte) und der Kontakt kann anderen Menschen das Leben versauen.
Ich weiß, die technische Lösung ist nicht trivial und so wie die Karte letztendlich ausgestaltet wurde, gibt es zu viele Single Points of Failure. Ich möchte halt eine automatische Benachrichtigung, wenn jemand die Daten meiner Karte ausgelesen hat. Ich möchte eine dezentrale Speicherung - in UK klappt das doch auch. Und mein Verein, immerhin der Verein, der nun wirklich der Verein ist, in dem die Kompetenzen versammelt sind, dem fällt nicht mehr ein als „so nicht“ zu sagen. Das finde ich schade, denn eine sinnvolle Lösung wird es dann einfach nicht geben. So lange tragen ich und ein Drittel aller Menschen in der Bundesrepublik Deutschland weiter Papier durch die Gegend und sammeln Kopien.
„Ach, wenn es doch nur…“ denke ich, während ich wieder ein Stück Papier irgendwo abhefte.
Bildvorschlag: https://www.flickr.com/photos/manoftaste-de/9693554418/in/photolist-pSX7EY-fLA11A-pNrykB-sY8Jh-74YgRS-9YwMzV (cc by)